Geschäftskontinuität in Zeiten des Krieges: Infopulse Zeitachse und Erfahrungen
Infopulse, ein internationaler IT-Anbieter, der 1991 von Alexey Sigov und Andrey Anissimov in Kiew gegründet wurde, betreibt Niederlassungen in 6 ukrainischen Städten: Kiew, Charkiw, Lemberg, Odessa, Winnyzja und Schytomyr. Die anhaltenden militärischen Feindseligkeiten haben die Notfallimplementierung der Geschäftskontinuitätsprozesse und -verfahren ausgelöst, die vom BCP-Ausschuss von Infopulse festgelegt wurden, um Spezialisten zu schützen, Vermögenswerte zu sichern und die Risiken des Geschäftsbetriebs zu mindern.
Kontinuitätsplanung erweist sich als wirkungsvoll
Wir beobachten die Eskalation der russischen Invasion weiterhin aufmerksam, können aber angeben, dass mehr als 90 % der Infopulse-Spezialisten jetzt an sicheren Orten sind und unter diesen für unser Land erschütternden Umständen ihre Arbeit wie gewohnt fortsetzen. Eine derart effiziente Arbeitsweise des Unternehmens wäre ohne eine fundierte und frühzeitige Geschäftskontinuitätsplanung unmöglich.
Die Geschäftskontinuitätsplanung (Business Continuity Planning, BCP) ist eine wichtige Methodik und umfasst eine Reihe von Risikomanagementprozessen, über die jedes Unternehmen verfügen muss, um geschäftskritische Abläufe aufrechtzuerhalten. Die erste schwere Krise, mit der das Unternehmen seit 2014 (dem Beginn der russischen Invasion) konfrontiert wurde, war die Coronavirus-Pandemie. Das Krisenmanagement-Team und der BCP-Ausschuss von Infopulse sind seit Anfang 2022 im Einsatz.
Die interne Unternehmensstruktur mit seinen für das BCP zuständigen Spezialisten wurde erweitert und umgestaltet, um ein dynamisches Risikomanagement zu ermöglichen. In diesem Zeitraum haben wir die Kapazitäten unseres Backup-Rechenzentrums erfolgreich getestet. Die rasche Umstellung von mehr als 2000 Spezialisten auf digitale Arbeitsplätze ermöglichte es Infopulse, seine Methodik für die Notfall- und Wiederherstellungsplanung zu verfeinern.
Risikomanagementverfahren bei militärischer Bedrohung
Pavlo Moiseiev gehörte zu den ersten Mitgliedern des BCP-Ausschusses, die im Jahr 2020, lange vor der Invasion, die zunehmenden Spannungen zwischen der Ukraine und Russland bemerkten. Diese politischen Stimmungen wurden zwar mit einbezogen, aber nicht näher analysiert. Im Frühjahr 2021 übernahm Pavlo Moiseiev die Rolle des Business Continuity Managers und organisierte eine massive Verlagerung ukrainischer Fachkräfte aus sechs Städten in den Remote-Modus und ins Home-Office.
April 2021
Die Situation änderte sich im April 2021, als Russland begann, schwere Waffen und militärisches Personal an den ukrainischen Grenzen zu konzentrieren. Der BCP-Ausschuss von Infopulse führte von diesem Zeitpunkt an eine kontinuierliche Überwachung und umfassende Analyse der sich entwickelnden Situation durch. Nach einer eingehenden Untersuchung der aktuellen Ereignisse und ihrer möglichen Auswirkungen auf die Geschäftstätigkeit des Unternehmens entwickelte der BCP-Ausschuss einen Notfallplan, den das EMT (Executive Management Team) bewilligte.
November 2021
Im November entwickelten wir eine neue Methodik zur Bewertung der militärischen Bedrohung für das Unternehmen und seine Spezialisten. Designierte Mitglieder des BCP-Ausschusses begannen mit der Analyse und dem Besuch verschiedener Unternehmensforen. Dazu gehörte auch der Workshop "Wintermilitärinvasion in der Ukraine: realistisch oder nicht?", organisiert von ASIS Ukraine, dem ukrainischen Zweig des weltweit größten Verbands für Sicherheitsexperten.
Der wertvolle Wissenstransfer half uns, das Vorgehen bei der Bedrohungsüberwachung und die entsprechenden Reaktionsszenarien zu konkretisieren. Um wirksame Schutzmaßnahmen zu entwickeln, haben wir unseren Plan zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs auf der Grundlage der Bedrohungsstufen erstellt, die eine Reihe von Risiken und Abhilfemaßnahmen definieren, anstatt zahlreiche schwer vorhersehbare Szenarien zu entwickeln.
Bedrohungsstufen und Schutzmaßnahmen
Es ist wichtig festzustellen, dass nur eine enge und kontinuierliche interne Kommunikation innerhalb der Infopulse-Community die BCP-Aktivitäten erfolgreich machte. Das interne Kommunikationsteam von Infopulse hält alle Fachkräfte auf dem Laufenden und informiert sie über die aktuellen und kommenden Aktionen des Unternehmens und deren Auswirkungen.
Januar 2022
Die zunehmende Konzentration der russischen Streitkräfte veranlasste Infopulse, die Reaktionskapazitäten des Unternehmens zu erweitern. Wir waren uns darüber im Klaren, dass die Kapazitäten und zugewiesenen Ressourcen des BCP-Ausschusses nicht ausreichten, um auf eine Eskalation des Konflikts sofort zu reagieren.
Entsprechend der bewährten Praktiken internationaler, professioneller Organisationen, die sich auf Geschäftskontinuität spezialisiert haben, sowie den Richtlinien unserer Muttergesellschaft Tietoevry, einem nordischen Anbieter von IT-Software und -Dienstleistungen, richteten wir ein spezialisiertes internes Krisenmanagementteam ein, das sich aus Topmanagern und maßgeblichen Spezialisten zusammensetzt.
Das CMT wurde eingerichtet, um die Vorbereitung und Reaktion auf die moderate Bedrohungsstufe des russisch-ukrainischen Konflikts zu koordinieren. Zwar wurde die gesamte Entscheidungsbefugnis auf das CMT übertragen, doch wurden für die taktische Planung und Durchführung die folgenden Teams gebildet:
- BCP Operational – ein Team von etwa 15 Spezialisten, die an der Entwicklung und Umsetzung von Notfallmaßnahmen beteiligt sind.
- BCP SPOC (Single Point of Contact) – eine Abteilung, die mit drei Personen begann und auf 40 engagierte Mitglieder anwuchs, die als Koordinatoren für Evakuierungs- und Umzugsaktivitäten fungieren.
Schutzstrategie in Aktion
IIm Dezember 2021 und Januar 2022 erstellte der BCP-Ausschuss unter der Leitung von Pavlo Moiseiev den Entwurf eines allgemeinen Reaktionsplans (siehe nachstehendes Schema). Mit Stand vom April wurden alle Punkte erfolgreich umgesetzt. Die einzige Ausnahme bildete die präventive Umsiedlung - viele Fachleute lehnten es ab, vorzeitig umzuziehen, weil sie fest davon überzeugt waren, dass der Krieg nicht stattfinden würde.
Ein allgemeiner Reaktionsplan
Um ein funktionierendes und reaktionsschnelles Unterstützungssystem für das gesamte Unternehmen aufzubauen, haben wir versucht, alle Details zu berücksichtigen: angefangen bei Sozialpaketen für den Umzug, der Reservierung von Unterkünften und Transportmitteln bis hin zur engen Abstimmung mit unseren europäischen Lieferzentren in Polen und Bulgarien.
Gehen wir verschiedene Geschäftskontinuitätsprozesse durch, um zu erkennen, wie wichtig das synchronisierte Funktionieren der einzelnen Teile für das Ganze ist.
Ressourcenmanagement
Im Januar 2022 wurde mit der schrittweisen Umsetzung der genehmigten und geprüften Maßnahmen begonnen.
Die Verteilung von Teams und Backup-Spezialisten ist eine regelmäßige Aktivität zur Aufrechterhaltung der Geschäftskontinuität von Dienstlieferungen. Mit einem bereits etablierten Prozess war es für uns einfacher, regelmäßige und kontinuierliche Lieferungen über alle Projekte hinweg sicherzustellen.
Die Backups der Projekte und des Rechenzentrums wurden im Vorfeld getestet und erfolgreich migriert und ohne Datenverlust oder Serviceunterbrechung realisiert.
Die IT-Infrastruktur und 2 Archive mit physischer Dokumentation wurden im März erfolgreich aus dem Kiewer Büro evakuiert.
Unser Reaktionsplan umfasste auch Verhandlungen mit den polnischen Behörden über rechtliche Fragen. Der Geschäftsführer von Infopulse Polen, Łukasz Olechnowicz, und andere Mitarbeiter des Unternehmens arbeiteten eng mit den Behörden der Städte Lodz und Danzig zusammen, um das Genehmigungsverfahren für Fachkräfte, die aus der Ukraine umziehen, zu vereinfachen.
Infopulse Büros und Coworking Spaces in Polen
Umzug und Evakuierung
Vor Februar wurde eine präventive Umzugsmaßnahme durchgeführt. Allerdings hatten nur wenige Infopulser von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, in der Hoffnung, sie würde sich erübrigen.
Infolgedessen befinden sich im April 2022 mehr als 90 % der Infopulse-Mitarbeiter an sicheren Orten und arbeiten nach dem Prinzip "business as usual" weiter. Was die finanziellen Aspekte betrifft, so übernimmt Infopulse weiterhin die Umzugskosten für alle Fachkräfte innerhalb der Ukraine und im Ausland.
Wichtige Knotenpunkte: Winnyzja und Lemberg
Die westlich gelegene Stadt Winnytzja wurde zu einem unserer Evakuierungsorte, der als vorübergehender Knotenpunkt für die weitere Umsiedlung nach Lemberg, Polen oder in andere Länder diente. Für einige wurde dies ein sicherer Ort zum Leben und Arbeiten. Von Winnyzja aus organisierten wir auch Busse an die polnische und rumänische Grenze. Von dort aus halfen unsere Freiwilligen den Infopulsern, eines unserer polnischen oder bulgarischen Büros zu erreichen oder ihre Reise fortzusetzen.
Unser Büro in Lemberg in der Westukraine diente als weiterer Transitpunkt für Infopulser und ihre Angehörigen. Die Arbeitsplätze des Unternehmens wurden an allen Betriebsstandorten erweitert, um Fachkräfte aufzunehmen, die gezwungen waren, gefährliche Regionen zu verlassen. Ivan Korzhov, Infopulse-Regionalmanager und CMT-Mitglied, berichtete von seinen Erfahrungen mit der Umgestaltung des Bürogebäudes in Lemberg in einen Transitknotenpunkt und eine Übernachtungsmöglichkeit für unsere Fachkräfte.
Sicherheit von Spezialisten und Kunden
In den ersten Tagen des Krieges sammelten wir mit einfachen Formularen Notfalldaten von unseren Fachkräften über deren Aufenthaltsort und relevante Kontakte. Später entwickelten wir die mobile Anwendung "Infopulse Connect" zur kontinuierlichen Kommunikation und Datenerfassung auf der Grundlage von Power Apps. Dadurch können wir Informationen über Fachleute zu Sicherheitszwecken sammeln und analysieren. Außerdem können Infopulse-Spezialisten mit dieser Anwendung ihren Standort oder ein Hilfegesuch übermitteln.
Seit November 2021 haben wir mehr als 40 Mitteilungen und Informationsmaterialien zu BCP- und Cybersicherheitsaktivitäten an unsere Kunden und mehr als 130 spezialisierte Memos an unsere Experten versandt. Es ist jedoch schwierig, den Umfang der in unserer Gemeinschaft geleisteten und erhaltenen Unterstützung in Zahlen zu fassen.
Nataliya Velykodna, Leiterin des Einsatzteams und Hauptkoordinatorin für die Evakuierung in Kyjiw, führte nicht nur die Fachkräfte durch den sorgfältig abgestuften Prozess des Umzugs, sondern leistete auch rund um die Uhr psychologische Unterstützung. Nataliya half den Infopulsern mit ihren Kommunikationsfähigkeiten, lähmende Ängste zu überwinden und gefährliche Orte sicher zu verlassen.
Personalbeschaffung
Ein weiterer wichtiger Aspekt unseres BCP-Plans ist die kontinuierliche Rekrutierung neuer Fachkräfte. Infopulse hat über 150 offene Stellen in allen Ländern, in denen wir vertreten sind (Polen, Bulgarien, Deutschland und Brasilien).
Die Gewinnung neuer Talente für unser Unternehmen war schon immer ein kontinuierlicher Prozess, der auch in Kriegszeiten nicht unterbrochen wird. So erschien zum Beispiel einer der Infopulse-Fachleute, der am 24. Februar anfangen sollte, zur Arbeit und erhielt seine Ausrüstung in der Zentrale. Insgesamt gab es 60 neue Mitarbeiter, die im Zeitraum Februar-März erfolgreich bei Infopulse anfingen, einige wurden sogar vor ihrem ersten Arbeitstag evakuiert.
Abschließende Gedanken
Auch nach dem 100. Tag der russischen Invasion erbringt Infopulse seine Dienstleistungen nach dem Prinzip "business as usual". Der vorausschauende Ansatz und die konsequente Umsetzung der Sicherheits- und BCP-Strategien ermöglichten es unserem Unternehmen, diese Krise zu bewältigen, indem wir einen unterbrechungsfreien Dienst anbieten und die Sicherheit unserer Experten gewährleisten konnten.
Wenn Sie Hilfe benötigen, um Ihre Sicherheitsmaßnahmen zu optimieren und zukunftssicher zu machen, können Sie sich jederzeit an uns wenden, um fachkundigen Rat oder eine maßgeschneiderte Lösung zu erhalten.